Die Beschäftigung und Integration von Arbeitnehmenden 50+ ist für die Schweizer Wirtschaft eine grosse Herausforderung. Warum tun sich die Unternehmen damit so schwer?
Interview Marcel Urech mit Christoph Hilber, P-Connect
Zu Teilen veröffentlicht auf www.computerworld.ch / Okt. 2021.
Marcel Urech: Die Beschäftigung und Integration von Arbeitnehmenden 50+ ist für die Schweizer Wirtschaft eine grosse Herausforderung. Warum tun sich die Unternehmen damit so schwer?
Christoph Hilber: Ich denke, es sind mehrere Faktoren: Der Kostendruck ist allgegenwärtig. Einsparungen durch Near-/ Offshoring tönen verlockend. Ältere Mitarbeitende sind teurer als jüngere. Dann die extrem kurzen Innovationszyklen und die Hoffnung, dass es besser ist, frisch Ausgebildete einzustellen und Ältere zu entlassen, statt umzuschulen. Ich sehe oft auch einfach Managementfehler, indem ältere Mitarbeitende Legacy Systeme pflegen müssen, weil jüngere dies nicht mehr wollen (können). Statt diese zeitig umzuschulen, entlässt man sie mit der Abschaltung der Systeme.
Worauf müssen Firmen bei der Integration der 50+-Generation besonders achten?
Das Potential sehen! Zunächst müssen Bereitschaft und Kultur vorhanden sein, überhaupt ältere Menschen einstellen zu wollen. Dann müssten die Vorurteile gegenüber 50+ abgebaut werden. ICT-Teamleiter sind oft jüngere Techis, welche natürlicherweise mit jüngeren Mitarbeitenden arbeiten möchten. Sie müssten erkennen, dass Erfahrung 50+ einen Wert hat und eine ideale Ergänzung bilden kann.
Für viele Unternehmen scheint Agilität heute wichtiger zu sein als Erfahrung. Ist das einer der Gründe, warum es die 50+Generation im Arbeitsmarkt oft schwer hat?
Das ist wohl das grösste Vorurteil gegenüber älteren Mitarbeitenden und ein häufiger Grund für Absagen. Dies kommt aber nie offen zur Sprache. Agilität steht nicht in Widerspruch zu Erfahrung. Der grosse Vorteil von 50+, nämlich nicht nur agil, sondern eben auch erfahren zu sein, wird m.E. schlichtweg oft ignoriert. Es wurde mehrfach bewiesen, dass Diversität in Arbeitsgruppen bessere und nachhaltigere Resultate liefert als Monotonie. Und Erfahrung ist wichtiger Bestandteil von Diversität. Wer die 50+ als unagil und nicht anpassungsfähig hält, sollte die u40 und ü50 einmal ehrlich vergleichen :-).
Was raten Sie Arbeitnehmenden 50+, die im ICT-Markt auf Stellensuche sind?
Angriff nach vorn! Nicht nur ICT-Mitarbeitende oder 50+ haben Mühe, sich selbst zu verkaufen, d.h. richtig zu bewerben. Aber bei 50+ ist dies unendlich viel wichtiger und der Schlüssel zum Erfolg. Erfahrungen können auch verhindern, wenn man in der Bewerbung zu viele Erfahrungen oder die falschen hervorhebt. Hier hilft oft eine Unterstützung von Aussenstehenden. Auch nicht vergessen werden darf das 3L – Life long learning. Wohl nirgends so wichtig wie in der ICT. Und auch wichtig: Flexibilität in der Vergütung.
Unternehmen scheuen oft das finanzielle Risiko und zögern, die Weiterbildungskosten für Arbeitnehmende 50+ zu übernehmen. Warum sollten sie es trotzdem tun?
Es nicht zu tun, ist meiner Meinung einfach zu kurz gedacht. Alle sprechen heute von Transformation. Nur zu wissen, wohin man transformieren will, reicht nicht. Man sollte auch wissen, woher man transformiert. Und diesen Vorteil haben 50+. Mitarbeiterentwicklung gehört zu einer Grundverantwortung einer guten Governance. Ältere ICT Mitarbeitende sollte man nicht auf alten Systemen vergammeln lassen, sondern zur Weiterentwicklung zwingen. Die Annahme, dass diese gar nicht wollen, ist meines Erachtens klar falsch.
Was bringen Initiativen wie “swissICT Booster 50+” und wer profitiert alles davon?
SwissICT Booster 50+ macht nicht nur Empfehlungen, sondern setzt auch um: 50+ werden eingestellt, auf den aktuellen Stand ausgebildet und in einem Turnus mehreren Firmen praktisch zur ‘Probe’ angeboten. Das Ziel ist natürlich, dass eine Firma den Mitarbeitenden schliesslich fest übernimmt, weil man merkt, dass die alten Vorurteile gar nicht stimmen, sondern die Persönlichkeit einen Mehrwert bietet.
Sollte der Staat solche Projekte nicht stärker fördern?
Klassische Venture Capitalists (VC) investieren in junge Firmen bzw. Ideen, um später Geld zu verdienen. Der Staat sollte praktisch auch als VC agieren und Projekte mit sozialem Charakter unterstützen, welche selbsttragend, ALV-erleichternd oder sogar leicht profitabel werden könnten. Nicht um das grosse Geld zu machen, sondern um die Gesellschaft zu unterstützen und Sozialwerke zu entlasten.