Gefährdet HomeOffice die Unternehmens-Seele?

Gefährdet HomeOffice die Unternehmens-Seele?

FÜHRUNG UND KULTUR – Ihre persönliche Seele ist selbstverständlich auch wichtig, aber hier betrifft es die Seelen Ihrer Unternehmen, Ihrer Arbeitgeber. Sie drohen zu verrohen und langfristig gegen Ihre gesteckten Ziele zu wirken. Warum?

Beitrag von CHRISTOPH HILBER, P-CONNECT

Auch veröffentlicht auf www.unternehmerzeitung.ch/VR-Praxis Ausgabe Mai 2021. Download PDF-Format.

DIE SEELE EINES UNTERNEHMENS steht für mehr als seine Kultur, nämlich für Identifikation, Zugehörigkeit, Motivation, Sinnhaftigkeit, Umgang miteinander, Qualität der Arbeitsbeziehungen, unsichtbare emotionale Energien, non-verbale Kommunikation…. Die Ausprägungen von Vertrauen, Begeisterung, Kunden- und Mitarbeiterbindungen sind mess- und spürbar.

Dass Arbeiten im Homeoffice besser funktioniert als gedacht und komfortabler ist als erwartet, ist eine Corona-Erkenntnis, welche nachhaltig wirken wird. Man merkt sofort, wenn der Gesprächspartner am Telefon im Homeoffice arbeitet. Ich spreche meine Gesprächspartner jeweils an, wie sie mit Homeoffice umgehen. Die Antworten waren bisher immer zwiespältig: Super, man spart den Arbeitsweg; man kann konzentrierter arbeiten; mehr Flexibilität für Privates. ABER auch: Ich fühle mich allein; informelle Informationen fehlen; ich vermisse den Kontakt zu meinen Kolleginnen und Kollegen; mir fällt die Decke auf den Kopf. Videocalls kompensieren das Gemeinschaftsgefühl nicht. Dass die Finanzchefs bei den fast leeren Büros langfristig Potential für Kostenoptimierungen wittern, ist verständlich.

Im Rahmen einer Pandemie kann man sagen: nicht weiter schlimm und vertretbar. Temporär permanentes Homeoffice ist für alle eine neue und interessante Erfahrung.

«DIE SEELE EINES UNTERNEHMES IST MEHR ALS KULTUR.
HOMEOFFICE GEFÄHRDET DIESE.»

Was bleibt?

Viele Bekannte – Manager und einfache Angestellte – haben das Homeoffice einfach nur satt. Zehn Meter Arbeitsweg haben einen grossen Trade-off. Man wird sich plötzlich bewusst, dass

  • Homeoffice besser funktioniert als erwartet – technisch und emotional,
  • Reisekosten einfach gespart werden können,
  • Effizienz der Meetings gleich oder besser ist,

aber dass

  • man sich irgendwie fremd geworden ist, man hat sich auseinandergelebt,
  • ein persönliches Treffen mit Mitarbeitenden, Kollegen und Kunden eine neue Bedeutung erhält,
  • Arbeitskollegen, das Umfeld in der Firma, die informellen Kontakte ein wichtiger Teil der Motivation darstellen, die einen am Morgen aus dem Bett treiben,
  • Gespräche Angesicht zu Angesicht ein grösseres Commitment bedeuten als per Video,
  • ein gemeinsamer Lunch oder ein Feierabendbier eine wichtige Rolle spielen,
  • Arbeitsweg und Tapetenwechsel eine positive Wirkung auf die Work-/ Life-Balance haben,
     
  • ups – diesen Mitarbeiter habe ich ja noch nie persönlich getroffen,
  • etc.

«WIRD EIN PERSÖNLICHER ARBEITSPLATZ VOR ORT ZUM
JOKER IN DER REKRUTIERUNG?»

Wofür entscheiden Sie sich?

Mit welcher Botschaft werden Sie in Zukunft neue Mitarbeitende rekrutieren?

a) «Homeoffice ist bei uns Pflicht, entsprechende Infrastruktur wird erwartet.»

b) «Wir freuen uns, Sie an Ihrem persönlichen Arbeitsplatz in der Firma begrüssen zu dürfen.»

Vielen Dank für Ihre Teilnahme (Ende 6.7.2021)

Mit welcher Botschaft wird Ihre Firma in Zukunft neue Mitarbeitende rekrutieren?
Aus welcher Perspektive antworten Sie?

Die Umfrage ist beendet, schade.

Homeoffice 2.0

Die Personalverantwortlichen werden hier den Lead übernehmen wollen und müssen. Es beginnt bei der Sensibilisierung von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat. Während beide typsicherweise mehr auf die harten Faktoren fokussiert sind, sollte sich das HR auch um die weichen Faktoren kümmern. Die Mitarbeitenden sind für die meisten Unternehmen die ‘Assets’ und Basis der Wertschöpfung. Die Kunst der Führung wird die Definition des gesunden Mix sein: Wunsch / Pflicht zum Homeoffice zur Einsparung der Bürofläche versus dem Wunsch nach Tapetenwechsel und Work-/ Life-Balance im wahrsten Sinn des Wortes. Kann jeder seinen Mix selbst wählen, gibt es Mindestpräsenz- bzw. Mindest-Homeoffice-Zeiten? Wer übernimmt welche Kosten? Wie führt und misst man die Leistung im Home-Office im Regelbetrieb? Aber vor allem: Wie kultiviert man die Seele des Unternehmens, das Erreichen gemeinsamer Ziele, das Feiern gemeinsamer Erfolge, wenn immer ein Teil fehlt?

«WIE KULTIVIERT MAN DIE SEELE DES UNERNEHMENS,
WENN IMMER EIN TEIL FEHLT?»

Es dürfte einige Spannungen verursachen, bis die ideale Mischform gefunden ist. Extreme Erwartungshaltungen dürften den Prozess belasten. Regelmässige Plattformen müssen erfunden werden, um ein Gemeinschaftsgefühl zu pflegen. Insbesondere für neue Mitarbeitende dürfte die Anfangszeit besonders schwierig werden, sich in halbvollen Büros oder wechselnder Teilbelegschaft angekommen zu fühlen. Je mehr Homeoffice, desto intensiver müssen diese Plattformen wirken. Das sicht- und spürbare Engagement von Geschäftsleitung und Personalverantwortlichen wird wichtiger denn je werden.

Die Kultur eines Unternehmens entsteht top-down. Die oberste Führung inklusive Personalabteilung ist in der Verantwortung. Eine Verrohung der Unternehmensseele würde in den Kennzahlen sichtbar. Man tut wohl gut daran, die Homeoffice Kultur genau zu beobachten und dem Zusammenhalt der mitarbeitenden Menschen systematisch Aufmerksamkeit zu schenken.

Eine intakte Seele wird sich nachhaltig auszahlen: begeisterte Mitarbeiter als Firmenbotschafter, wirksames Employer Branding, geringe Fluktuation, positives Image, Reduktion von Rekrutierungskosten, nicht zuletzt zufriedene Kunden …