Mythos 65 – dem neuen 55

Mythos 65 – dem neuen 55

Arbeitnehmende richten ihre Lebensplanung darauf aus, Arbeitgeber beginnen bereits 15 Jahre vorher mit der Anstellungsbremse: Das aktuelle Pensionierungsalter 65 ist tief in unserem Hirn und in den Rekrutierungsprozessen «eingebrannt». Gut oder schlecht?

Warum genau 65?

65 erschien bei der Gründung der AHV als das Alter, in welchem Arbeitnehmende als für die Wirtschaft nicht mehr als produktiv betrachtet wurden. Wer heute 65-75+ Jahre alt ist, fühlt sich fit und vital, unternehmungslustig, sicher nicht alt und wertlos. Man schätzt sie 5-10 Jahre jünger ein. Arbeitsunfähig? Sicher nicht!

Drei Fakten bestimmen die Diskussion:

1. Steigende Lebenserwartung

  • Statistisch bewiesen leben Menschen in der Schweiz immer länger.
  • Eine riesige Industrie (MedTech, LifeScience, Pharma) investiert Milliarden, damit wir gesund und fit bleiben und länger leben.
  • Die bessere medizinische Versorgung lassen die Gesundheitskosten und Krankenkassenbeiträge steigen.
  • Das längere Leben verursacht längere Rentenbezüge.
  • Die gewonnene Lebenserwartung generiert aber keine direkte Arbeitsleistung (BSP). Man setzt diese für einen angenehmeren Lebensabend ein.

2. Kosten des Alters

  • Die Kalkulation ist einfach: Wer länger lebt, muss seine Kostenstruktur überdenken. Die lebenserhaltenden und -verlängernden Massnahmen kosten direkt und über Versicherungen mehr. Wer länger lebt, bezieht länger Renten, ohne mehr in AHV/PK einzuzahlen.
  • AHV-Revisionen sind Dauerthema in der Politik. Die Pensionskassen kommen unter Druck und senken den Umwandlungssatz, wollen sie nicht Bankrott gehen. Der Handlungsbedarf ist akut.
  • Der Umgang mit diesen Kosteneffekten polarisiert stark sowohl in der Politik als auch bei den betroffenen Bezügern und Bezahlern.

Der Fachkräftemangel steigert sich zum Arbeitskräftemangel.

3. Demografische Entwicklung

Die altersbezogene Entwicklung der Schweizer Bevölkerung erschwert die Situation: Die Zahl der Rentner steigt in den kommenden 40 Jahren stark, während die Zahl der Berufstätigen abnimmt.

Ohne Anpassungen der Sozialwerke müsste eine sinkende Zahl von Beschäftigten die steigenden Rentenbezüge finanzieren.

Die Überalterung hat zwei weitere Konsequenzen:

Viele finanzstarke Rentenbeitragszahler fallen weg, wodurch der Druck auf die Rentenwerke steigt.

Mit den Babyboomern verabschieden sich sehr viele Berufstätige in den Ruhestand. Der Arbeitskräfte-Pool reduziert sich derart, dass Unternehmen ihre Wertschöpfung nicht mehr generieren können. Der Fachkräftemangel steigert sich zum Arbeitskräftemangel.

Switzerland – we have a Problem!

Eine Neuregelung des Beginns des Rentenalters würde mehrere Probleme lösen.

Nicht-Lösungen:

Nicht in Frage kommt die theoretische Lösung, die Rahmenbedingungen zur Erhöhung der Lebenserwartung zu senken. Ethisch und moralisch nicht vertretbar.

Ebenso nicht vertretbar ist, die aufgezeigten Effekte zu ignorieren oder die Renten der aktuell gut finanzierten Rentnerschaft generell zu erhöhen. Beides generiert ungedeckte Mehrkosten zu Lasten unserer Kinder und Enkel++. Sie würden doppelt bestraft: Erstens könnten sie sich wegen erhöhter Lohnabzüge weniger leisten. Zweitens könnten sie aufgrund des allgemeinen Lohndrucks weniger in PK und persönliche Vorsorge einzahlen. Die Jungen würden nicht bloss in ihrer Aktivzeit schlechter gestellt, sondern auch als zukünftige Rentner bestraft.

Lösungsansätze:

Wird der Einstieg dynamisch an die erhöhte Lebenserwartung angepasst, würden die Arbeitnehmer ihre gestiegenen Alterskosten zumindest zu einem Teil selbst finanzieren.

Frühzeitige und verzögerte Pensionierungen bleiben möglich, solange dabei die Auszahlungen angepasst werden.

Wird das Renteneinstiegsalter als Variable betrachtet, welche sich an die persönliche Arbeitsfähigkeit und Lebensplanung anpasst, fördern wir die Eigenverantwortung und delegieren sie nicht an staatliche Regulierungen.

Viele Menschen Ü50 bis Ü65 würden gerne weiterarbeiten, werden jedoch oft durch steuerliche Konsequenzen davon abgehalten.

Unternehmen müssten endlich faire, klare und umsetzbare Alters-Strategien entwickeln, welche Neueinstellungen und Beschäftigung von 50+ jährigen sicherstellen. Bogenkarrieren müssten auf allen Hierarchien selbstverständlich werden, und zwar bezüglich Verantwortung und Entlöhnung.

Einwanderungspolitik und Motivation zur Erhöhung der Geburtenrate sind zu überdenken, denn der Arbeitskräftemangel wird durch die längere Beschäftigung der Ü65 nicht allein gelöst werden können.

Was verhindert eine offene Diskussion?

Vermeintlich soziale, politische Kräfte blockieren. Sie fühlen sich immer benachteiligt und orientieren sich nicht an der relevanten Mitte, sondern an den Armutsbetroffenen. Dabei ignorieren sie, dass es für die Armutsbetroffenen Auffangnetze gibt, und es dieser Gruppe in einem Wohlstandsumfeld immer besser gehen wird als in einem Armutsumfeld.

Die Rentner sind heute die Gewinner. Das Leben gesund und fit länger geniessen – was wollen sie mehr. Erhöhung der Renten – warum nicht, würde das allenfalls überschüssige Geld nach dem Ableben doch an die Kinder weitervererbt. Kürzung der Renten – Nein!

Die Politiker meiden das Thema, da es unpopulär ist und eine Wiederwahl erschweren könnte.

Wirtschaftsverbände meiden das Thema auch oder betrachten es als taktisch ungeschickt. Sie reden wohl ein bisschen darüber, handeln aber nicht.

Luxus im Alter setzt persönliche Ersparnisse voraus.

Handeln ist angesagt

Es waren die Sozialpartner, welche den Mythos 65 definiert haben. Es wäre an den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Mitarbeitern und Unternehmen, Jüngeren und Älteren, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Vorschläge aufzubringen und anschliessend der Politik zur Umsetzung zu übergeben.

Politik und Wirtschaft sollten der gesamten Bevölkerung, ob jung oder älter, eindrücklich und nachhaltig vor Augen führen, dass Lebensplanung und Vorsorge primär Eigenverantwortung sind. Die Sozialwerke sichern nur ein Grundauskommen. Luxus im Alter setzt persönliche Ersparnisse voraus.

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