Ich sehe etwas, was du nicht siehst (Teil 1)

Ich sehe etwas, was du nicht siehst (Teil 1)

Bekanntlich sind Erfahrungen auch bei Entscheidungen Gold wert. Wenn man deshalb etwas schneller oder klarer sieht als die Konkurrenz, ist dies auch Geldwert. Doch was heute als Erfahrung gilt, ist morgen eventuell nur noch Erinnerung.

VR-Praxis 9/2014; TEXT CHRISTOPH HILBER
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«Ich sehe Risiken, welche du gar nicht sehen kannst, weil du neu im Business bist und die Erfahrungen nicht hast. Deshalb entscheiden wir für meinen Standpunkt, denn dein Vorschlag ist nicht machbar.» Viele Nachfolgeregelungen scheitern daran, dass der bisherige Inhaber immer alles anders sieht als sein Nachfolger. Er sieht dank seiner Erfahrung Risiken, welche Berechtigung haben. Der Nachfolger dagegen möchte neue Ideen aufgrund anderer Erfahrungen gar nicht als Risiko sehen, sondern im Gegenteil als Chance für das Unternehmen, als Chance zu neuen Erfolgen. Zwei Meinungen, zwei Standpunkte – ein Konflikt, der leider oft zum Abbruch von Nachfolgeregelungen führt, anstatt dass er über ein Führungsteam ausdiskutiert wird.

MONOKULTUR DER ENTSCHEIDE
Dies ist primär ein KMU Phänomen, nicht selten auch bei grösseren Familienunternehmen. Bei kotierten Unternehmen besteht diese Gefahr weniger, da diese über eine klare Governance geregelt sind und meist über ein «angestelltes» Management-Team eine objektive Mehrheitsbildung erreichen.
Gemäss der Stiftung KMUnext sehen sich in der Schweiz pro Jahr etwa 12 000 KMU direkt mit der Lösung eines Nachfolgeproblems konfrontiert (KMUnext, Jahresbericht 2013). Davon dürften über 1000 Unternehmen von relevanter Grösse sein, das heisst, sie sind so gross und erfolgreich, dass eine Nachfolgeregelung stattfinden muss, denn sie können nicht einfach den Betrieb einstellen (zu viele Mitarbeitende, Kundenverpflichtungen, Investitionen, zu viel Herzblut). Für die Beurteilung strategischer Chancen und Risiken werden Analysen, Umfragen, Zahlen und Meinungen eingeholt. Aber letztendlich ist es eine Frage des Standpunkts, die Sicht von innen oder aussen, wie die Gewichtung der Entscheidungsgrundlagen ausfällt. Persönliche Erfahrungen sind ein richtiger und wichtiger Faktor.
Oft fehlen dem Patron aber ehrliche Sparring-Partner mit anderen Erfahrungen, um strategische Themen zu wälzen und Entscheide zu verifizieren. Damit entsteht eine Art Monokultur der Entscheide, eine Projektion der Vergangenheit, und der «schwarze Schwan» wird möglicherweise übersehen. In der Unternehmensorganisation gibt es dafür ein klares Führungsgremium, nämlich den Verwaltungsrat (oder analog bei anderen Rechtsformen). Allerdings nur wenn er richtig zusammengesetzt ist. Ein Verwaltungsrat bestehend aus Besitzer/Patron/CEO in einer Person und dem Hausjuristen oder -treuhänder ist zwar ein Kontrollorgan, aber nicht strategisches Steuerungsorgan. Im Verwaltungsrat braucht es ein konfliktfähiges Team mit Aussensicht, mit Erfahrungen aus anderen Märkten, Produkten, Technologien und so weiter.

WECHSEL DER PERSPEKTIVE
Die Entwicklungen in vielen Bereichen, ob Technologie, Kundenverhalten, Mitarbeiteransprüche oder gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen, wurden in den letzten Jahren massiv schneller – Tendenz zunehmend. Erfahrungen müssten im veränderten Umfeld laufend neu kalibriert werden, denn die bisherigen «Einstellungen » sind schnell überholt.

Optionen? Die Firma von innen kennen, die Bilanz zwischen den Zeilen verstehen, die Strategie selber entwickeln, Stärken und Schwächen ehrlich erfassen. Man sieht viele wichtige Elemente, welche von aussen nicht gesehen werden können. Aber das ist nur eine Sicht. Die andere Sicht von Dritten ist die zweite Hälfte. Bauen Sie für sich ein Team von Sparring-Partnern auf: offen, ehrlich, vertrauenswürdig. Eine sinnvolle Option ist der Auf-, Aus- oder Umbau des Verwaltungsrates zu genau diesem Zweck: harte Diskussionen für richtige Entscheide. Wenn Sie etwas sehen, was die anderen nicht sehen, ist dies wertvoll, solange Sie zu verstehen versuchen, was die anderen anders sehen. Perspektivenwechsel ist angebracht. Ich sehe etwas, was du nicht siehst (Teil 2) in der nächsten Ausgabe.

AUTOR
Christoph Hilber ist Betriebswirtschafter und seit sieben Jahren Headhunter mit eigenen Firma: P-Connect Executive Search & Recruiting hat den Fokus auf Industrie (MEM), IT/Telekom und Positionen VR, GL und Spezialisten.