VERKAUF DES GRALS – Wieder ist mit der SIKA AG ein Schweizer Vorzeigeunternehmen ins Ausland verkauft worden. Das wäre eigentlich nicht so tragisch, werden ja auch ausländische Firmen von Schweizer Unternehmen gekauft. Und beide Richtungen machen in der Regel Sinn. Was diesmal anders ist, ist der Stil des Verkaufs und vor allem die scheinbar unerwartete Reaktion von Schlüsselfiguren.
VR-Praxis 01/2015; TEXT CHRISTOPH HILBER
Download Artikel als PDF
Zuerst die rechtliche Situation. Es ist absolut legitim, dass ein Aktienbesitzer seine Anteile verkauft. Die Regeln wurden eingehalten. Ein Verkäufer – ein Käufer. Dass ein Minderheitsaktionär die Stimmenmehrheit des Unternehmens hat, war bekannt. Die asynchrone Stimmrechtregelung machte Sinn, zumindest als sie beschlossen wurde: Schutz von Firma und Gründerfamilien, wahrscheinlich Schutz vor Einflussnahme oder Übermacht Dritter. Die externen Aktionäre brachten überproportional mehr Kapital und Vertrauen ein, als sie dafür Mitbestimmung erhielten. Doch die Zeit vergeht. Und eines Sonntags informieren die Stimmenmehrheitsbesitzer, dass sie ihre Anteile ins Ausland verkauft haben. Eine ganz normale Finanztransaktion. Unerwartete Reaktionen von VR, Management und restlichen Aktionären waren die Folge. Dabei hatten die Gralshüter ja nur den Gral verkauft, ohne ihre Gralsritter zu involvieren. Eine nicht repräsentative Umfrage* von P-Connect bei Verwaltungsräten hat ergeben, dass 69 Prozent mit der Reaktion von VR und Management sympathisieren, aber nur 37 Prozent gleich reagiert hätten. 63 Prozent hätten zugewartet.
STIL
Trotzreaktion? Haben VR und Management mit ihren Rücktrittsankündigungen überreagiert? Es ist ja keine Fusion, sondern eine Beteiligung, und die neuen Besitzer wollen den Erfolgskurs der Firma wohl kaum negativ beeinflussen. Aber es lässt auf Mut, Rückgrat und Überzeugung schliessen, was sicher auch Attribute des bisherigen Erfolgsrezepts der Firma waren. Die Kommunikation war klar und macht einen Rückzug des Rückzugs fast unmöglich.
Berater wechseln? Die Familie hatte offenbar mit dem SIKA-Geschäft nicht mehr viel gemeinsam, die Interessen in den verzweigten Familien lagen woanders. Es war nur noch ein sprudelnder Dividendentopf. Den Auftrag der Maximierung der Transaktion hatten die Berater schnell erfasst und durch den «stillen» Verkauf den Preis und ihr Honorar positiv beeinflusst. Der Grundgedanke der Stimmen- Asynchronität wurde missbraucht, die Herrschaft über das Unternehmen zum höchst-möglichen Preis zu verhökern. Der Gedanke, Finanzberater mit Ethikberatern zu mischen, kam wohl nie auf.
Kommunikation? Es mutet seltsam an, dass der Kommunikation wenig Beachtung geschenkt wurde. Minimalste Empathie hätte mit einer starken Reaktion der Kader und Aktionäre rechnen müssen. Stil hätte bedeutet, diejenigen, welche den Erfolg (mit-) erarbeitet hatten, vorgängig zu involvieren. Wer weiss, vielleicht hätten sich Optionen aufgetan, welche für die Verkäufer akzeptabel und die übrigen Stakeholders erträglich gewesen wären. In der erwähnten Umfrage haben 100 Prozent geantwortet, dass sie das Kader involviert hätten.
EINSICHT
Es wäre zu schön, wenn bei den Verkäufern die Einsicht aufkäme, auf einen Teil ihres Erlöses zugunsten derer aufzugeben, die den Wert ihrer Anteile erst generierten. Wegen der causa SIKA das Prinzip der Familien-AGs mit ihrer oft speziellen Stimmenverteilung zu verteufeln, wäre falsch. Diese machen Sinn und tragen zur Solidität der Schweizer Unternehmerkultur bei. Vielleicht werden die Statuten ja so angepasst, dass vor oder zumindest nach einem Verkauf des Grals die Stimmen-Asynchronität dahinfällt. Das aktuelle Gezänk lässt darauf schliessen, dass die Kröte geschluckt werden muss: VR und Management werden ersetzt und synchronisiert, die normalen Aktionäre müssen hoffen, dass das neue Management auch erfolgreich wird und der Wert sich irgendwann erholt. Und den Mitarbeitenden bleibt wahrscheinlich nur die Hoffnung und vielleicht ein Gutschein für einen Französisch-Kurs.
* Umfrageresultat auf www.p-connect.ch/neuigkeiten/SIKA – Aber bitte mit Stil‘
AUTOR
Christoph Hilber ist Betriebswirtschafter und seit sieben Jahren Headhunter mit eigenen Firma: P-Connect Executive Search & Recruiting hat den Fokus auf Industrie (MEM), IT/Telekom und Positionen VR, GL und Spezialisten.