Rationaler Bauchentscheid

Rationaler Bauchentscheid

Das Ziel ist klar und einfach formulierbar: Den Menschen finden, der ideal auf eine Position passt. Das ist Tagesgeschäft in der Rekrutierung, wo Beurteilungen und Abgleich mit Profilen eine der wichtigsten Aufgaben darstellt. Und doch gibt es Fehlbesetzungen. Eine Smart Watch, welche den Selektionsprozess unterstützt, gibt es leider noch nicht.

TEXT CHRISTOPH HILBER
erschienen in „readme 37/17“, Zeitschrift der Alumni Wirtschaftsinformatik Universität Zürich
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Super Job!
Ausgangslage ist die Tätigkeitsbeschreibung der Position. Wenn sie vorhanden ist, beschreibt sie die aktuellen, fachlichen Tätigkeiten. Hinzu kommen Internas wie spezielle Herausforderungen, Gründe für Neubesetzung etc. HR entwickelt ein attraktives Inserat für die externe Kommunikation, indem einige Anforderungen an die Persönlichkeit angefügt werden. Ansonsten wird das Inserat spannend tönen und Job sowie Firma von der besten Seite beleuchten. Legitime Teilwahrheit.

Ich bin der Beste!
Der Bewerber durchläuft einen ähnlichen Prozess. Er kehrt in sich selbst, macht eine Liste der Erfolge und Misserfolge in seinen bisherigen Jobs, seiner Stärken und Schwächen, seiner Wünsche und Ziele. Die positiven Elemente verpackt er in einen Lebenslauf, ergänzt ihn vielleicht mit ein paar unproblematischen Schwächen. Problemzonen werden weggelassen. Das übliche Motivationsschreiben umfasst hoffentlich drei gute Argumente, warum sich ein persönliches Gespräch lohnen würde. Legitime Teilwahrheit.

Assessment – die ganze Wahrheit!
Die Teilwahrheiten treffen aufeinander. Dieser Schritt ist vergleichbar mit dem M&A-Prozess bei einem Firmenkauf. Beide Seiten stellen sich möglichst gut dar und lassen das Gegenüber nach den Schwachstellen suchen oder nach Informationen fragen, welche in den Dokumenten schöngeredet oder verschwiegen werden.
Die fachlichen Themen wie technische Fähigkeiten oder betriebswirtschaftliche Zusammenhänge können im Gespräch oder durch Case Studies, Tests, vielleicht Schnuppertage, veriiziert werden.
Je höher und unternehmerischer eine Funktion ist, desto weniger ist dies jedoch möglich, da die Persönlichkeitsmerkmale wichtig werden wie z.B. der Denk-, Arbeits- und Beziehungsstil. Dem gegenüber stehen Themen wie Kultur, Offenheit oder Stimmung im Unternehmen. Diese Dimensionen werden in der Praxis über eine Gesprächsbatterie mit mehreren Peers, Vorgesetzten oder falls möglich mit Direktunterstellten ausgelotet. In diesen Gesprächen gewinnen beide Parteien Entscheidungsgrundlagen, denn auch der Bewerber lernt durch die Gespräche sein zukünftiges Umfeld näher kennen.
Es gibt unterstützende Alternativen zur Abklärung dieser sehr persönlichen Merkmale. Oft werden Einzel-Assessments durchgeführt, wo der Bewerber einem Team von Psychologen ausgesetzt wird – sicher ein guter Stresstest. Eine weitere und schnellere Option sind On-line Assessments, in welchen Verhalten, Motivation und Kompetenzen gecheckt werden können. Beispiele dafür sind INSIGHTS MDI für Verhalten und Motivation, ASSESS by Scheelen für die Persönlichkeitskompetenzen.
Beide Verfahren bringen etwas Konkretisierung in die schwer greifbaren Dimensionen der menschlichen Seele. Alle Assessments dürfen jedoch nur einen Mosaikstein im Entscheidungspuzzle darstellen, sind diese doch nur Momentaufnahmen und abhängig von der momentanen Gefühlslage eines Bewerbers. Unter Stress denkt der Mensch anders als ohne Stress oder mit Longdrink unter der Palme. Trotzdem sind sie hilfreich, um allenfalls kritische Punkte in Gesprächen weiter zu verifizieren.

Matching – der Entscheid.
Smart-Watches können inzwischen sogar die Restlaufzeit des Lebens berechnen oder langweilige Gesprächspartner identifizieren. Genügen würde es, wenn sie anzeigen könnten, wenn der Gesprächspartner nicht die ganze Wahrheit sagt, denn dort könnte man weiter bohren. Solange dies nicht möglich ist, bleibt nichts anderes übrig, als möglichst viele und breit abgestützte Informationen zu kompilieren – systemisch und/oder mit gesundem Menschenverstand – und dann auf das Gefühl, die Bauchgefühle der involvierten Gesprächspartner, zu setzen – Q.E.C. – quod erat convincendum.


Christoph Hilber als Managing Partner von P-Connect fokussiert im Executive Search und Outplacement auf die Branchen Informatik Telekommunikation, Industrie (Maschinen-, Elektro-, Metallindustrie) und Positionen Verwaltungsrat / Verwaltungsrätin, Geschäftsleitung / Kader und Spezialisten. Vorgängig war er in leitenden Linienfunktionen bei NCR/AT&T, Diax und Siemens tätig. In diesem Zusammenhang schreibt er regelmässig Artikel in verschiedenen Medien wie z.B. im read-me, der Zeitschrift der Fakultät der Wirtschaftsinformatik der Universität Zürich.