Ich sehe etwas, was du nicht siehst (Teil 2)

Ich sehe etwas, was du nicht siehst (Teil 2)

Nachfolge und Innovation gehen oft Hand in Hand. Neue sind nicht betriebsblind und haben mehr Mut. Kombiniert schaffen sie hoffentlich den Durchbruch zu neuem Wachstum. Gefahren? Wenn sich «alte» Erfahrung und «neue» Idee gebührend respektieren, gibt es keine.

VR-Praxis 11/2014; TEXT CHRISTOPH HILBER
Download Artikel als PDF

Der Neue hatte einen guten Einstand. Das Einvernehmen zwischen den ehemaligen Besitzern und dem neuen Teilhaber war blendend. Die Due Diligence wurde gegenseitig so vollständig wie möglich gemacht. Man war sich des Vorgehens und der Lösung für die Zukunft gewiss. Der langsame und stufenweise Übergang von den alten zu den neuen Besitzern wurde über ein Earn-out beziehungsweise Buy-in geregelt.

EUPHORIE MIT BLINDHEIT
Einige «tiefhängende Früchte» konnten schnell umgesetzt werden. Obwohl die Fluktuation auch bei tragenden Positionen stieg und die Mitarbeiterzufriedenheit an den Veränderungen litt, wurden Anpassungen an Organisation und Prozessen durchgeführt. Das bisherige Führungsteam war zwar ziemlich skeptisch, sah aber auch den Nutzen einer Neugestaltung der langjährigen Strukturen. Das Stammgeschäft wurde dadurch nicht beeinträchtigt, das Geschäft schien weiterhin nach altem Plan zu laufen. Kosten konnten gesenkt und die Effizienz gesteigert werden.
Der Businessplan des Neuen bzw. die Kaufsumme beinhaltete aber mehr als nur «Geschäft wie gehabt», sondern basierte auf Innovationen, welche nach dem Einstieg angegangen werden sollten. Ideen des Neuen waren während den Verhandlungen über Teilhaberschaft und Earn-Out zwar angetönt, aber nicht weiter vertieft worden. Ist ja auch logisch, sollte dadurch zwar Vertrauen geschaffen, aber nicht gleichzeitig der Einstiegspreis in die Höhe getrieben werden.
Die grosse Innovation sollte den Durchbruch in einem neuen Segment und einer neuen Region schaffen. Das bestehende Team deckte die neu benötigten Kompetenzen weitgehend ab, war von den Plänen aber nicht überzeugt und äusserte sich entsprechend. Dies führte zu neu eingestellten Spezialisten, welche mit der alten Garde nicht gerade in Minne zusammenarbeiten konnten. Die Polarisierung führte zu zwei Lagern in der Belegschaft. Vertrauliche Gespräche der alten Besitzer mit Stammkunden deuteten auf einen möglichen Erfolg der Innovation hin, brachten aber auch viele Fragezeichen auf. Die Polarisierung steigerte sich dadurch auch zwischen alten Besitzern und neuen Teilhabern, sodass das gegenseitige Vertrauen angezählt und die kritischen Meinungen als «verhindernd» eingestuft wurden.
Der Businessplan war sehr konservativ gerechnet, die befragten Märkte und Kunden zeigten Offenheit für die Ideen, ein kurzer «Hockeystick » wurde eingeplant. Die Finanzierung war aus dem angestammten Cashflow und wenig Fremdgeld machbar. Die Warnungen wurden überstimmt, sie wurden überhört, weil der Glaube an die Innovation so überzeugend wirkte, dass ein schwarzer Schwan gar nicht existieren konnte.
Schliesslich wurde die Innovation umgesetzt, der Markt reagierte aber so verhalten, dass auch der konservative Businessplan zu aggressiv war. Hinzu kam der sanfte Einbruch bei den alten Produkten/ Märkten, sodass der interne Finanzierungsanteil nicht ganz geleistet werden konnte. Die weiter zunehmende Polarisierung zwischen alt und neu führte zwangsläufig zu den Diskussionen über die Earn-Out-Vereinbarung und wurde auch emotional. Diese Entwicklung verhiess nichts Gutes.

EIN KLASSIKER BEI NACHFOLGEN
Die Entwicklungen in vielen Bereichen werden immer schneller und der Druck zu Innovationen für das erwartete oder sich selber gesteckte Wachstum ist enorm gross. Aufgebrachte Kritik verwandelt sich in einem emotional belasteten Umfeld eher zu Sturheit statt Einsicht. Die gegenseitigen Standpunkte werden immer weniger verstanden und führen zu Schuldzuweisungen statt konstruktiven Lösungsansätzen. Die Geschichte schreibt in diesen Situationen mehrheitlich «Abbruch der Übung – zurück auf Feld 1».

Optionen?
Die Umsetzung von Innovationen in einem gewachsenen Umfeld verlangt mehr Fingerspitzengefühl als bei einem Start-up und vor allem eine vernünftige Struktur: Man darf die Cash-Cows nicht für die Stars opfern. Zudem braucht es ein konfliktfähiges Team, keine Einzelkämpfer. Das ist die Verantwortung des Verwaltungsrats. Dieser sollte idealerweise vor oder spätestens im Rahmen der Nachfolgeplanung breit und fachlich/sachlich aufgesetzt werden. Er stellt so das strategische und auch ausgleichende Organ dar, welches ein Unternehmen in modernen sprich harten Zeiten führt. Das gebührende Verständnis von bisheriger und neuer Perspektive ist wichtig. «Ich sehe etwas, was du nicht siehst» ist gut, solange man daran gegenseitig «gescheiter» wird.

AUTOR
Christoph Hilber ist Betriebswirtschafter und seit sieben Jahren Headhunter mit eigenen Firma: P-Connect Executive Search & Recruiting hat den Fokus auf Industrie (MEM), IT/Telekom und Positionen VR, GL und Spezialisten.