Während in der CH über den immer grösser werdenden Anteil der Führungskräfte berichtet wird, scheint in Deutschland gemäss Umfrage das Interesse an Führungspositionen zu schwinden.
Fast zeitgleich letzte Woche schnappte ich diese zwei Nachrichten auf, die mich überraschten:
- «Es gibt immer mehr Chefinnen und Chefs in der Schweiz» – 10vor10 vom 4. 2024 [Link]
- «Führung wird immer unattraktiver» – Pressemeldung von Chef:innensache [Link]
In der Schweiz wundert man sich, dass es trotz Abbau von Hierarchien immer mehr Führungspositionen gibt. Wobei man meines Erachtens ignoriert, dass es genau wegen der flachen Hierarchien mehr Führungskräfte braucht. Flach bedeutet schnellere Entscheide / Umsetzung, dafür mehr Führungskräfte an der Basis und – wenn man den Experten glaubt – zum Nulltarif. Es sei gemäss Experten eine Wertschätzung, wenn man in den Kreis der Führungskräfte aufgenommen wird. Die Wertschätzung sei so gross, dass man die Beförderung anstelle einer Lohnerhöhung einsetzen könne.
Dagegen ist in Deutschland gerade das Fehlen eben dieser Wertschätzung der Grund, dass Führungsfunktionen unattraktiv werden. Sind die Deutschen schlauer oder die Schweizer einfach nette Kerle? Bei der Chef:innensache.de machte man diese Unattraktivität zur Schlagzeile, leider ohne diese zu hinterfragen.
Doch was bedeutet Wertschätzung? Gemäss Wikipedia bedeutet sie «positive Bewertung eines anderen Menschen» – in Zusammenhang mit Führung wohl bezüglich Vorbild, Entscheiden, Handeln, Empathie.
In beiden erwähnten Beiträgen spielt Wertschätzung eine entscheidende Rolle. Eine Führungsposition anvertraut zu erhalten, ist sicher eine Wertschätzung. Wer jedoch in einer Führungsposition Wertschätzung erwartet, ist meines Erachtens für eine Führungsfunktion nicht geeignet.
«Gemäss HR-Barometer 2024 von UZH/ETHZ/UNILU wird ‘Einkommen’ (54%!) nach ‘Sozialer Einbindung’ (60%) und vor ‘Erreichen der Karriereziele’ (41%) als wichtig bewertet! [Link]»
Führung ist Teil jeder klassischen Karriere (ausser Expertenkarrieren). Die Grundlage bildet der Ehrgeiz, Verantwortung zu übernehmen, etwas gestalten zu können, Mitarbeitende fördern zu können, Strategien zu entwickeln, betriebswirtschaftliche Themen zu bearbeiten und die Bereitschaft, mehr zu leisten etc. etc. Hinzu kommen Status und Macht. Wer behauptet, dieser Ehrgeiz möchte nicht gebührend entlohnt werden, ist ziemlich blauäugig.
Wertschätzung ist in guten Zeiten und bei florierendem Business kein Thema. Aber wenn es eng wird, taucht sie auf. Die unterste Führungsebene leidet dann an fehlender Wertschätzung, da sie unbeliebte Themen wie Wachstumsplanung, Abbau, kritische Beurteilungen etc. gegenüber ehemaligen Kollegen:innen umsetzen muss. Oder der CEO, der zuoberst ganz einsam zuletzt die Gesamtverantwortung übernehmen muss. Viel Lohn, aber Wertschätzung nur im allerbesten Fall. Und auf den Lohn sind alle neidisch. Meistens findet sich immer eine Stakeholder-Gruppe (Mitarbeitende inbegriffen), die irgendetwas zu reklamieren hat und eine mögliche Wertschätzung zunichtemacht.
«Wer Wertschätzung sucht, sollte nicht führen.»
Als Personalberater erlebe ich in vielen Gesprächen mit älteren Führungskräften, dass sie in einer zukünftigen Anstellung jederzeit auf Führung verzichten würden. Diese sei zwar interessant, aber immer öfter auch belastend undankbar. Eine mit dem Wegfall einhergehende Lohneinbusse sei aber unsympathisch. Soviel zu Wertschätzung und Lohn.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Führung ist eine wichtige, interessante und anspruchsvolle Funktion, aber es braucht ein dickes Fell. Gerade in der aktuellen Wirtschaftslage mit Kostendruck, Verlagerungsthemen, Inflation, Marktverschiebungen, geopolitischen Umwälzungen mit unbekannten Auswirklungen ist Führung extrem herausfordernd.
Wem es gelingt, nachhaltig richtige Entscheide zu treffen, darf stolz sein. Eine persönliche Genugtuung und wenigstens eine indirekte Wertschätzung. Und ohne entsprechende Entlohnung würde man diese Rolle nicht ausüben wollen.
Haben Sie schon Führung statt Lohnerhöhung eingesetzt oder selbst erlebt? Eine Diskussion würde mich freuen!
Dieser Artikel wurde auch in unserem ‚Recruiting+Bewerbung Blog‚ auf Linkedin publiziert.
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