Viele Führungskräfte stellen fest, dass sich seit Covid die Stimmung, der Zusammenhalt und damit die Kultur im Unternehmen verändert hat. Auch Mitarbeitende dürften feststellen, dass sich ihre emotionale Bindung zu Arbeitgeber und Kolleg:innen seither verändert hat. Es muss nicht nur am Home-Office Modus liegen, aber dieser dürfte höchstwahrscheinlich mit ein Grund dafür sein.
«Ein kurzer Schwatz über Persönliches tut gut.»
Die vielen informellen Kontakte, der kurze Schwatz über Persönliches, die unbewusste Wahrnehmung von Befindlichkeiten und Emotionen, der spontane Austausch beim Lunch oder an der Kaffeemaschine, Zusammengehörigkeitsgefühl, das Gefühl von echtem Teaming, wo man am selben Strick zieht, wo man lacht und hier und da wohl auch lamentiert etc. etc. – all dies fehlt zuhause. Es definiert die Kultur, die Seele eines Unternehmens. Und es ist auch Bestandteil der Sinnhaftigkeit von ca. 50% unserer Lebenszeit.
«Gemäss HR-Barometer 2024 von UZH/ETHZ/UNILU erhält die ‘Soziale Einbettung’ mit 60% die wichtigste Bewertung der Arbeit vor dem ‘Einkommen’ mit 54%.»
Und ein verdrängtes Thema: Home-Office birgt das Risiko von Vereinsamung und depressiven Gedanken. Introvertierte und scheue Menschen müssen sich zu sozialen Kontakten zwingen. Arbeiten vor Ort in einem Umfeld von persönlichen Begegnungen bedeutet automatisch Interaktion, Abwechslung, Diskussion etc. Dies ist zwar ein sozialpolitisches Thema, aber Betriebliches Gesundheits-Management (BGM) beinhaltet auch Inklusion und nicht nur gratis Kaffee und Früchte.
«Unternehmen haben auch eine soziale Verantwortung.»
Viele Firmen haben begonnen, Arbeiten im Home-Office einzuschränken oder gar ganz abzuschaffen.
Mitarbeitende reagieren mit Unverständnis, Unzufriedenheit und drohen sogar mit Kündigung. Sie vergessen dabei, dass die allererste Aufgabe eines Unternehmens ist, die Organisation der optimalen Erbringung einer Wertschöpfung zu gewährleisten, und nicht die Optimierung des privaten Alltags. Der Lohn kommt vom Unternehmen und nur, wenn es erfolgreich ist. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass man nicht versuchen soll, Arbeit und Privates gleichzeitig zu optimieren.
Als Headhunter werde ich in Interviews von Kandidat:innen meistens nach meiner Einschätzung der Unternehmenskultur gefragt. Eine wichtige Frage.
Was würden Sie von folgender Antwort halten:
«Einen Arbeitsplatz haben Sie nicht, denn Sie arbeiten nur im Home-Office, das Kennenlernen der Kolleg:innen machen Sie via Videocall. Wenn Sie jemanden unbedingt persönlich treffen möchten, machen Sie dies am besten in der Freizeit. Ihre Vorgesetzten werden sich mit Aufgaben und Erwartungen bei Ihnen melden und Sie kontrollieren. Haben Sie Fragen, senden Sie eine E-Mail. Also ein ‘lose’ Kultur, es geht nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um produktiven Output und Sie organisieren sich selbst. In guten Jahren gibt es vielleicht ein freiwilliges Weihnachtsessen, wo man einander auch persönlich treffen und austauschen kann. Die Firma zahlt jedoch sehr attraktive Saläre und Sie sparen sich den Arbeitsweg.»
Würden Sie in einer solchen Kultur arbeiten wollen? Ziemlich sicher nicht.
Was ist eine Lösung?
- Mix Home und Office
Die meisten Firmen werden Home-Office nicht verbieten, sondern wo möglich auf eine Mischung von fixen und flexiblen Vorort-Tagen kombiniert mit einem Anteil Home-Office setzen. - Kommunikation bei Reduktion von Home-Office
Wie sag ich es meinem Kinde? Art, Begründung, Timing, Empathie und Tonalität der Kommunikation dürfte tatsächlich einem Dialog mit Kindern ähneln, da das Potenzial bei Home-Office-Verfechtern für störrische und unüberlegte Reaktionen meines Erachtens gross ist. Ein offener Dialog ist wichtig. - Führungsaufgabe
Es ist Aufgabe der Führungscrew, die für die Erbringung der Wertschöpfung nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu gibt es sicherlich unterschiedliche Meinungen. Die Haltung des verantwortlichen Managements ist hier allerdings entscheidend. Hohe Führungsqualitäten sind gefragt, Empathie mit Durchsetzungskraft und nachvollziehbare Argumente. Wenn es gelingt, das Arbeiten vor Ort mit attraktiven Vorteilen anzureichern, wird es einfacher sein. - BGM
Die Personalverantwortlichen sollten sich für das Arbeiten vor Ort kreativ einsetzen. Sie beeinflussen die Kultur, sie hüten die Seele des Unternehmens. - Wem es nicht passt, sollte sich verändern
Wer mit eingeschränkten Home-Office-Möglichkeiten nicht leben kann, sollte kündigen. Es gibt vielleicht Arbeitgeber mit besser passender Regelung. Eine Option wäre dann auch die Selbständigkeit, in der man machen kann / will / muss – erfolgreich genug, um den Lebensunterhalt zu bezahlen. Diese Betrachtung könnte auch helfen, neue Office-Regelungen besser zu akzeptieren.
Wie ist Ihre Erfahrung mit der Reduktion bzw. Abschaffung von Home-Office? Senden Sie mir bitte eine E-Mail. Danke.
Dieser Artikel wurde auch in unserem ‚Recruiting+Bewerbung Blog‘ auf Linkedin publiziert.
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