„Swiss IT Reseller“ im Gespräch mit Christoph Hilber, auf den ICT-Bereich spezialisierter Headhunter, der im Interview über die Arbeitgeberattraktivität des Channels, den Active-Sourcing-Trend, unrealistische Anforderungsprofile in Stelleninseraten und über Löhne in der ICT-Branche spricht.
Gespräch geführt von Marcel Wüthrich, Chefredaktor, Swiss IT Magazine und Swiss IT Reseller
In IT-Reseller Heft Juli/August 2019 , Download Artikel als PDF erschienen.
„Swiss IT Reseller“: Als Headhunter mit Spezialisierung im ICT-Umfeld dürften Sie zu den wenigen gehören, die vom Fachkräftemangel in der IT profitieren, oder sehe ich das falsch?
Christoph Hilber: Das sehen Sie in der Tat falsch. Als Headhunter werde ich von Unternehmen beauftragt, eine offene Stelle mit einem passenden Kandidaten zu besetzen. Das ist in einem ausgetrockneten Personalmarkt nicht einfach. Kommt hinzu, dass der Fachkräftemangel in erster Linie die unterste Stufe – sprich Fachspezialisten ohne Führungsaufgaben – betrifft. Sobald ein Unternehmen einen Mitarbeiter für eine Führungsaufgabe sucht, wird es einfacher, wobei es dort mehr auf die Persönlichkeitsmerkmale ankommt als auf Fachkenntnisse. Fachspezialisten zu einem Wechsel zu bewegen, ist zudem oft schwieriger.
Worauf führen Sie die geringe Wechselbereitschaft zurück?
Wenn jemand mit seinem derzeitigen Job rundum zufrieden ist, kann man ihn mit einem vergleichbaren Job kaum zu einem Wechsel bewegen. Man muss ihm mindestens eine Steigerung bieten können – entweder bezüglich Verantwortung, Fachgebiet, Führung oder dem Salär, wobei letzteres das schlechteste Argument ist. Ohne Steigerung ist kaum jemand bereit, von einem bekannten in ein unbekanntes Risiko zu wechseln.
Gleichzeitig sagen Sie aber auch, dass für die Leute, bei denen wirklich Fachkräftemangel herrscht, Headhunter kaum beigezogen werden. Macht das Sinn?
Eigentlich nicht. Denn was nicht vergessen werden darf: Mit jedem Inserat, das geschaltet wird, gesteht man als Unternehmen etwas überspitzt gesagt ja auch ein, dass man ein Problem hat – dass man eine Leistung verkauft, für deren Erbringung die Mitarbeiter fehlen. Viele nutzen Inserate auch zu Marketingzwecken, weisen aber gleichzeitig auch auf mögliche Probleme hin. Das kann man umgehen, indem man die Suche nach Fachkräften auslagert. Sei dies an Headhunter, welche projektorientiert arbeiten, oder an Vermittler, welche auf Erfolgsbasis CVs aus ihrer Datenbank versenden.
Ein Headhunter ist aber auch nicht ganz günstig. Was kostet die Vermittlung eines ICT-Spezialisten?
Das lässt sich nicht pauschal sagen und ist von vielen Faktoren abhängig. Ich kann Ihnen höchstens eine Grössenordnung angeben. Branchenüblich sind zwischen 15 und 30 Prozent eines Jahreslohnes.
Welche Kanäle abseits des klassischen Stelleninserats sind Ihrer Erfahrung nach aktuell besonders populär, um Fachkräfte zu finden?
Ein grosser Trend in den Unternehmen ist heute das sogenannte Active Sourcing – sprich das Unterhalten von Kandidaten-Pools. Dabei wird eine Art CRM – Candidate Relationship Management – betrieben. Kandidaten und ihr Werdegang werden laufend über Kanäle wie Linkedin, Xing oder auch Facebook verfolgt, und wenn eine passende Position besetzt werden muss, werden die Kandidaten kontaktiert.
Und wie erfolgreich sind die Firmen damit?
Active Sourcing richtig betrieben, ist ein grosser Aufwand. Denn dann sind es nicht die Mitarbeitenden aus dem HR, die potenzielle Kandidaten kontaktieren, vielmehr müssen sich Leute aus der Linie um das Kandidaten-Netzwerk kümmern und den sozialen Kontakt pflegen. Wenn ein Linienvorgesetzter nun zehn Kandidaten betreuen muss, sich ab und an mit ihnen für ein Essen oder ein Bier treffen muss, verleidet ihm das rasch. Als weiterer kritischer Faktor kommt hinzu, dass es als Unternehmen immer heikel ist, bei einem Marktbegleiter Mitarbeiter zu kontaktieren. Selbst wir als Headhunter müssen hier mit grosser Sorgfalt vorgehen.
Weshalb?
Zum einen sprechen die Leute miteinander, heute viel mehr als früher, und sitzen oft zusammen in einem Grossraumbüro. Wenn mehrere Kandidaten in derselben Firma interessant wären, kann man sich mit einem einzigen falschen Telefonat einen ganzen Kandidatenpool zerstören. Als Konkurrent ist die Situation doppelt heikel, weil das Abwerben von Mitarbeitern zwangsläufig für böses Blut und einen schlechten Ruf in der Branche sorgt.
Mit welchen Argumenten kann man als Unternehmen, das Mitarbeiter sucht, ICT-Fachkräfte typischerweise für sich begeistern?
In meiner Erfahrung ist es – gerade bei Technikern und Entwicklern im Gegensatz zu Sales-Leuten, die eher monetär getrieben sind – selten der Lohn. ICT-Spezialisten lassen sich viel eher mit coolen Projekten überzeugen. Moderne Entwicklungstechnologien und Managementmethoden sind ebenfalls Argumente, die ziehen. Auch die Firmenkultur und zeitgemässe Arbeitsformen und Arbeitsplätze sind wichtig.
Von Integratoren und Resellern hört man, dass sie bei der Mitarbeitersuche oft gegen Grossunternehmen antreten und dabei Mühe bekunden, beim Gehalt mitzuhalten. Welche Vorzüge kann denn ein KMU dem hohen Lohn entgegenhalten?
Grundsätzlich ist es so, dass es Mitarbeiter gibt, die sich eher in grossen Organisationen wohl fühlen und die Anonymität in solchen Unternehmen schätzen. Diese Leute sind dann auch bereits zu akzeptieren, dass sie letztlich einfach eine Nummer sind und bei Restrukturierungsmassnahmen der soziale Aspekt nicht selten auf der Strecke bleibt und mit dem Kamm gestrählt wird. Und dann gibt es Kandidaten, die das familiäre Umfeld eines KMU suchen, wo das Persönliche eine deutlich grössere Rolle spielt und man nicht beim geringsten Gegenwind damit rechnen muss, die Kündigung zu erhalten. In einem KMU ist man Teil einer Art Familie, und ein Familienmitglied wird nicht einfach so ausgestossen.
Also sollte der, der auf einen sicheren Job bedacht ist, eher zu einem KMU gehen?
Sicher ist natürlich relativ, und auch das KMU muss rechnen. Aber es geht in einem KMU bei einem Stellenabbau vielleicht fairer zu und her als bei einem Konzern. Es gibt also auf beiden Seiten Argumente.
Wie beurteilen Sie grundsätzlich die Arbeitgeberattraktivität des Channels?
Distributoren und Reseller befinden sich irgendwo im Sandwich zwischen den Herstellern und denEndkunden, wo die Gehälter oft besser sind – das lässt sich nicht von der Hand weisen. Handkehrum sind gerade die Hersteller in der Regel amerikanisch orientiert, was bedeutet, dass ein 50/50-Verhältnis aus fixem und variablem Salär üblich ist. Das Zielsalär ist zwar fantastisch, aber oft sehr schwierig zu erreichen. Und je höher das Salär, desto höher die Erwartungen und der Quotendruck. Zudem ist man beim Hersteller oft auf wenige Produkte fokussiert, während im Channel Gesamt-Lösungen im Vordergrund stehen.
Wie kann der Channel den Lohn-Gap sonst noch kompensieren?
Grundsätzlich finden sich im Channel oft sehr flache Hierarchien, was sicher ein Plus bei der Mitarbeitersuche ist. Grosse Distributoren sind oft auch Ausbildungsbetriebe, wo man nicht selten Quereinsteiger findet, die zu sehr tiefen Löhnen einsteigen, dafür aber ausgebildet werden. Ob man diese Mitarbeiter als Disti halten kann, hängt dann vor allem davon ab, ob versucht wird, sie möglichst lange auf dem Einstiegslohn zu halten oder ob man bereit ist, den Lohn dem neuen Wissen anzupassen. Das hat auch mit Firmenkultur zu tun. In der Value Added Distribution und bei Systemintegratoren kommt das Lösungsdenken hinzu, was den Inhalt des Jobs spannender macht.
IT-Dienstleister kämpfen mit dem Problem, dass es zwar Kandidaten auf dem Markt gibt, diese Kandidaten aber wissen, dass sie gesucht sind, und darum exorbitante Löhne verlangen. Wie soll man als potentieller KMU-Arbeitgeber, der diese Löhne nicht bezahlen kann, damit umgehen?
Als KMU macht es am meisten Sinn, Kandidaten anzuziehen, die ähnliche Werte haben wie das Unternehmen beziehungsweise dessen Mitarbeiter. Und das funktioniert am einfachsten, indem das Netzwerk der eigenen Mitarbeiter genutzt wird. Wenn jemand einen Bekannten oder einen ehemaligen Studienkollegen kennt, der in Frage kommt, ist die Chance gross, dass der auch ins Unternehmen passt, da er ähnliche Vorstellungen hat. Wenn jemand sehr monetär getrieben ist, dann muss er das verlangte Salär auch wert sein. Verkäufer wissen schon lange, dass sie auch mehr liefern müssen, wenn sie mehr Geld verdienen wollen. Bei technischen Spezialisten ist dieses Bewusstsein noch nicht überall angekommen. Letztlich muss jeder sein Salär Wert sein, sonst ist er der Erste, der wieder gehen muss.
Gibt es Fehler, die Sie im Recruiting von ICT-Fachkräften regelmässig beobachten?
Ich möchte nicht von Fehlern sprechen, aber eine Entwicklung, die wir beobachten ist, dass oftmals zugewartet wird, bis der absolut perfekte Kandidat gefunden wird. Dies ungeachtet dessen, ob die Linie unter der anfallenden Arbeit fast ertrinkt. In meinen Augen ist das gefährlich, weil man so die bestehenden Mitarbeiter bis ans Limit belastet und Gefahr läuft, diese zu verlieren. Kommt hinzu, dass die Profile zum Teil völlig unrealistisch anspruchsvoll sind oder Wissen verlangt wird, welches es erst seit Kurzem überhaupt gibt. Ich stelle auch fest, dass Unternehmen immer weniger bereit sind, neue Mitarbeiter zuerst auszubilden. Entweder er ist von Tag 1 an produktiv, oder man wartet lieber zu.
Das sind Fehler, die haarsträubend scheinen…
Grössere Firmen nutzen oft softwaregestützte CV-Screenings. Wer die falschen Stichworte bringt, fällt automatisch raus. Auch sind Recruiter-Positionen oft Einstiegsjobs für junge Mitarbeitende, die leider weder die Firma noch das Produkt oder die Kultur genug kennen. Sie können in einem CV nicht zwischen den Zeilen lesen oder das Potential eines Mitarbeiters – gerade eines älteren Kandidaten – nicht erkennen, der vielleicht die passenden Buzzwörter nicht verwendet. So werden oft interessante Profile verpasst. Gleichzeitig muss ich auch Bewerbern immer wieder erklären, dass sie ihr altes Wissen zeitgemäss dokumentieren müssen. Die sogenannt neuen Technologien sind oft gar nicht so neu, sondern es sind Weiterentwicklungen früherer Architekturen und Konzepte. Aber das muss man als Kandidat auch so verkaufen.
Ich möchte nochmals auf das Thema Lohn zurückkommen. Wie beurteilen Sie die Lohnentwicklung von ICT-Fachkräften in den letzten Jahren?
Die Löhne kommen vermehrt unter Druck. Der Preisdruck auf Anbieter wächst nicht zuletzt durch ausländische Anbieter. Dieser Druck wird in die Kosten, d.h. auch Löhne, weitergegeben. Hinzu kommen Bewerber aus dem angrenzenden Ausland. Ich beobachte auch, dass ausländische Bewerber oft mehr Biss an den Tag legen als Schweizer, und dies bei tieferen Lohnvorstellungen. Handkehrum beobachte ich auch bei etablierten Schweizer Fachkräften, dass sie für eine spannendere Aufgabe bereit sind, beim Lohn Konzessionen zu machen. Hier ist das Problem, dass Firmen oft nicht glauben, dass diese Bereitschaft vorhanden ist. Ich hingegen glaube sehr wohl, dass jemand für mehr Qualität und mehr Motivation im Job eine Lohneinbusse in Kauf nimmt.
Wo liegen die Herausforderungen, wenn man Fachkräfte aus dem nahen Ausland holt?
Sicher kann man einen Mitarbeiter aus dem Ausland günstiger an Bord holen. Dies ist in meinen Augen nicht ungefährlich, weil der Lohn als Gesprächsthema schon längst kein Tabu mehr ist. Jemand, der sich unter seinem Wert bezahlt fühlt, wird sich schnell auch wieder umsehen. Die Kulturfrage ist zudem nicht zu unterschätzen, gerade in kleineren Firmen. Selbst Deutschland ist trotz derselben Sprache nicht gleich Schweiz, das wird oft vergessen.
Zur Person
Christoph Hilber Betriebswirtschafter und seit über 10 Jahren Personalberater mit seiner eigenen Firma P-CONNECT – Executive Search & Outplacement, fokussiert auf Positionen Verwaltungsräte, Geschäftsleitungen/Kader und Spezialisten in Informatik, Telekom und Industrie (MEM). Vorgängig war er in leitenden Linienfunktionen bei NCR/AT&T, diAx und Siemens.